Die Stadt der Träume

Eigentlich hat Brujita der Stadt diesen Namen gegeben. Erst seit unserem Ausflug nenne ich Los Llanos auch so. - Warum? Lass mich erzählen. . .

Fliegen ist herrlich! Jedesmal wenn ich fliege, kribbelt und kitzelt es in meinem Bauch vor Vergnügen.

An diesem Feiertag sind wir auf dem Besen nach Los Llanos geflogen. Es war noch still in der Stadt.

 

 

Brujita landete auf der kleinen Plaza und sagte: "Psssst, wenn man gut zuhört, erfährt man hier viele Geschichten."

Wir lauschten dem leisen Rascheln der Palmwedel, lauschten den Vögeln; dem Flöten, Zwitschern und Singen. Dann lauschten wir dem Brunnen; vier feinen Wasserstrahlen, jedem Tropfen, - stimmt, hier erzählte jeder Geschichten. Da flüsterte Brujita, so als wollte sie niemanden stören: "Soll ich dir zeigen, warum es die Stadt der Träume ist?" Sie nahm meine Hand und tat sehr geheimnisvoll, als sie mich zur großen Plaza führte.

 

 

Vor dem Kulturhaus zeigte sie auf eine Tafel und sagte triumphierend: "Siehst du, das ist der Plan der Träume." Ich sah nur einen Stadtplan mit Zahlen und der hing ein bisschen hoch für Zwerge.

 

Aber Brujita deutete auf die riesigen Bilder an den Häuser- wänden, hielt mir den Besen hin und rief: "Steig schon auf!"  

 

Was dann kam, hatte nichts, aber auch gar nichts, mit unseren anderen Flügen zu tun. Auf gings! JUCHHU! Auf die andere Straßenseite, über die Bäume hinweg auf das Postdach. Und SUMS! Escobi, der Besen begann zu surren und zu schnurren, dann fegte er uns mitten in das Bild.

 

 

 

Was heißt hier überhaupt Bild!? Ich sprang vom Besen und schaute mir alles genau an. Den Calabazo. Die Zisterne. Den Brunnen.  Auch Brujita stieg vom Besen, schnupperte wie ich an den Blumen, hüpfte mit mir über die Dächer. Und Escobi, der Besen hüpfte, sprang, tanzte hinter uns beiden her.

 

 

 

 

 

Dann sah ich den Turm.

 

 

 

 

 

 

Was für ein Turm! Das Beste war, von haargenau diesem Turm hatte ich neulich geträumt. Ich rannte los und war viel schneller als Brujita. 

Ohne lange zu überlegen, trat ich ein. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Treppen und Gänge es da gab. Eine der Treppen rannte ich hinunter. Als sich vor mir ein tiefes Loch auftat, wurde mir doch ein bisschen mulmig.

 

"Mut brauchst du schon, wenn du an deine Träume glaubst", zwitscherte über mir jemand. Mut hatte ich. Klar, hatte ich den. Und ob ich den hatte. - Hoppla! Verflixt, eine Rutschbahn! Schon lag ich auf der Nase. "Übermut tut selten gut", amüsierte sich gleich ein anderer Jemand. Ich stand wieder auf.

 

 

Da ging es rauf,

ging es runter,

ging es über Treppen,

ging es über Leitern.

 

Dann erst fiel mir auf, Brujita fehlte, und ich dachte mir: Am Mut kann es nicht liegen. Mut hat sie auch. Aber vielleicht liegt es an den Träumen. Vielleicht hat sie nur nicht die selben Träume.

Als ich endlich den Ausgang wiedergefunden hatte, stand Brujita immer noch oben und rief mir lachend zu: "Es gibt tausend Winde, sind tausend Wege möglich!" Ihrer Nase sah ich das Reisefieber an, denn wenn Hexen neugierig sind, biegt sich die Nasenspitze ein kleines bisschen nach oben. Wie ein Wegweiser zeigte sie auf das riesige Bild mit der Weltkugel.

 

Escobi schien ganz versessen darauf endlich loszufliegen und brachte sich selbst in Startposition. JUCHHU! Schon ging es wieder los.

 

Als wir das riesige Bild anflogen, zog ich rasch meinen Malstift aus der Hosentasche und zeichnete eine schöne Fahne und eine noch schönere Palme in die Karte. Vorsichtshalber.

Dann stiegen wir ins Flugzeug um, unten Europa, Amerika, Afrika, und freuten uns, dass diesmal auch Escobi etwas mehr von der Aussicht hatte.

 

Am Nordpol wehte ein grimmiger Wind und man bekam kalte Füße.

 

 

 

Dafür wurden wir im Papageienland herzlich begrüßt.

 

 

 

 

 

 

 

In Afrika feierte man sogar ein Fest. Wir tanzten natürlich mit und kamen dabei so ins Schwitzen, dass wir uns nichts sehnlicher wünschten als -

 

 

 

ZITRONEN-

LIMONADE.

Himmlisch!

 

 

 

 

Feine Sache mit den Träumen, schon saßen wir wieder an der Plaza und ich war stolz auf meine Fahne. So viele Flecken im Meer, aber unsere Insel haben trotzdem gefunden.

 

Dann fielen mir all die Hähne auf. Als ich Brujita danach fragte, klatschte sie in die Hände und lachte: "Feiertag, Feiertag, am Feiertag gehen die Hähne aus. Stadt der Träume, Stadt der Hähne! - Schau da! Genau dort! Siehst du das Bild?!"  Ich wollte gleich hinlaufen, doch Brujita legte die Stirn in Falten und sagte: "Anderes Mal. Glaub´s mir, im Bild ist der Teer noch frisch."

Ich bestellte mir noch eine Limonade. Limonade mit Eiswürfeln. Extragroß. Große Gläser sind besser zum Fantasieren. Zum Beispiel kann man im Eismeer Schiffe schwimmen lassen. Und ich ließ sie schwimmen, ließ sie Routen segeln, die ich vorhin auf den Meeren gesehen hatte. Europa. Amerika. Afrika. Riesige Schiffe. Winzige Schiffe. Schiffe durch Winde und Stürme. Unsere Insel nannten die Seeleute früher eine glückliche Insel. Doch, stand in der Karte. Darüber habe ich nachgedacht. Vielleicht, nein ganz sicher sogar, weil Menschen, die Träume suchten, sie auch manchmal hier fanden. - Leckere Limonade!

 

 

Dann schlenderten wir durch die Stadt.

 

 

 

 

 

Gut, es war Feiertag und das die Stadt die Träume, aber was da durch die Straße gesprungen kam, hatten Brujita und ich noch nie gesehen. Dem sonderbaren Etwas hing eine Pfütze an. Bei jedem Sprung wabberte sie, pladderte dem kleinen Kerl an die Beine, manchmal schwappte sie über. Die Fische darin schienen sich sehr zu amüsieren. Munter tauchten sie auf, sprangen in die Luft, um gleich wieder im Wasser zu verschwinden, wobei es gehörig spritzte.

 

Wedelnd kam das Kerlchen auf uns zu und sagte: "Angenehm, Julián. Freut mich, euch endlich persönlich kennenzulernen." Als wir ihn fragend ansahen, grinste er: "Eure Exkursionen haben sich unter uns Traumbewohnern natürlich längst herumgesprochen. Ich möchte euch gerne ein paar Freunde vorstellen. - Habt ihr Lust?"

Keine Frage. Auf ging´s, immer hinter Julián her. Wieder und wieder drehte er im Laufen den Kopf, erzählte ohne Punkt und Komma von einer großen, großen Welle.

 

 

Vor einem gelben Haus mit blauen Säulen blieb er stehen. So plötzlich, dass selbst seine Pfütze eine hohe Welle schlug.

 

 

 

 

 

 

 

Mit der Schnauze stupste er mich an und zeigte nach oben auf das Bild: "Zu viel versprochen? Ist das eine Welle!? Der Maler, wir alle, eigentlich kommen wir vom Mittelmeer. Später haben wir erst euren Atlantik kennengelernt. Werdet euch wundern, oder auch nicht. - Kommt ihr gleich mit?"

 

Ein Sprung. Und was für einer. Wie eine Feder schnellte Julián die Hauswand hoch.

 

 

Brujita und ich schwangen uns auf Escobi, hörten es platschen. - Da! Kopfüber tauchte Julián wieder in sein Bild.

 

 

Was einem kleinen Traumhund gelang, musste Zwergen, Hexen und magischen Besen doch erst recht gelingen. Hei Hepp, auf Brujitas Zeichen, tauchten wir gleichzeitig kopfüber ein. Es klatschte und platschte. "Nicht schlecht", sagte der rote Fisch.

 

 

Besuch wusste man hier zu schätzen. So luden uns die Herren Piquer und Fermín gleich zu einer Bootsfahrt ein.

 

 

 

 

Surrend und schnurrend bot Escobi magische Dienste an.  - Doch, Gastgeschenke müssen sein! "Ein neues Ruder!",  freuten sich die Herren, denn Fegeruder waren hier neu.

 

Von überall kamen neugierige Meeresbewohner herbei. Ich fühlte mich bald selbst wie ein Fisch und wollte tiefer tauchen, doch Brujita meinte: "Vergiß es. Im Bild geht es nicht weiter." Konnte und wollte ich nicht glauben. Natürlich musste es tiefer gehen. Auch einen Meeresgrund musste es geben. Jeder Traum, alle Träume - immer gab es einen Grund.

Und ich tauchte, vielmehr zog es. Ja, "Es" zog. Etwas in meinem kugelrunden Bauch kitzelte und schlug Purzelbäume, dass ich gar nicht anders konnte als weiterzutauchen, weiter und weiter und noch ein kleines bisschen weiter; durch Schwärme schillernder Fische und Meerespflanzen hindurch, die mich mit ihren langen Armen umschlangen. Tiefer und tiefer bis ich endlich sandigen Grund vor mir sah. Ich befreite mich aus einer neuen Schlinge und setzte die Füße auf.

Na also, hier unten war das Wasser mit einem Mal klar. Und da schimmerte es perlmuttfarben. Eine Muschel. Als ich sie ans Ohr hielt, hörte ich eine Melodie und in meinem runden Bauch konnte es einfach nicht anders, als kugeln und kitzeln und begeistert mitsingen: "Traumsucher tauchen, Traumtaucher wissen: Auch was man nicht sieht, ist da! Alles, - alles alles alles hat seinen Grund"

 

 

Natürlich hat uns Julián hinterher noch zur Plaza begleitet, hatte es aber eilig zurück in den Atlantik zu kommen. 

 

Da schlug die Kirchturmuhr Mittag und Brujita rief: "Los, besuchen wir meine Tante!"

 

 

 

Das Essen war fertig und wir bekamen beide eine leckere Suppe. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nicht lange und Brujita stupste mich unter dem Tisch. Sie flüsterte mir zu: "Besuch für uns. Schau mal zum Fenster." Den Wolkenmann musste sie meinen. Gemächlich zog er am Fenster vorbei, kam zurück, dann schaute er herein. Ei, er schaute mich ja sogar an! So deutlich, dass es in meinem Bauch gleich wieder kitzelte.

Während wir uns die Suppe schmecken ließen, wurden aus dem Bauschemann Schäfchen und aus den Schäfchen Kaninchen. Langsam setzten sie sich wieder zu dem Wolkenmann zusammen, dass ich mich fragte: Gehörte er vielleicht in einen Traum? War das vielleicht sogar eine Einladung? Vor allem aber fragte ich mich: Wie konnte Brujita ihn mit dem Rücken zum Fenster überhaupt sehen?

"Wer viel schaut, sieht wenig. Wer viel sieht, schaut wenig", kicherte Brujita. "Noch nie was vom zweiten Gesicht gehört. Von dem Abenteuer hat mir schon meine Kristallkugel erzählt. Lange, wie lange habe ich mir diese Reise gewünscht!"

Diesmal sanken wir wie in Federn und ich dachte an Zuckerwatte. Als uns der Wolkenmann sachte in sein Bild trug, zeichnete ich rasch wieder La Palma ein. Wir machten es uns auf den Wolken gemütlich, schwebten nach San Borondón und schwebten wieder zurück.

 

 

Dann las ich Brujita vor, was unter dem Bild geschrieben stand: "Von San Borondón sehen alle La Palma. Von La Palma sieht niemand San Borondón."

 

 

Schwer möglich. Konnte nicht sein. Wie oft hatte ich staunend an den Klippen gestanden und den Bewohnern von San Borondón zurückgewinkt. Jawohl. Ich, Brujita und auch noch andere. "Eben", freute sich über mir jemand. Ein Flöten, Trillern und Zwitschern erfüllte die Luft. Stimmen und Stimmchen, so viele Sprachen. Aufgeregt ließ sich die buntgefiederte Schar nieder. Fast alle hatten Schnüre oder Fäden im Schnabel und begannen nun eifrig zu knüpfen. Und hätte ich vielleicht vorher über San Borondón besser aufgepasst, hätte ich gesehen, dass man auch dort sehr, sehr fleissig war.

Feiertag. Siesta auf Wolken. Die kleine krumme Hexennase bog sich neugierig nach oben, denn unten plusterten sich die Vögel, erhoben sich, flogen. - Wohin? Zur Ausstellung, ist doch klar! Brujita klatschte in die Hände, rief: "Nanito! Escobi! Heyhopp! Hinterher!" So viele Töne, so viele Stimmen, der ganze Himmel ein einziges Singen. Bilder wie lustige Fahnen im Wind.

"Die Maler kommen alle von La Palma. Alle! Und alle haben sie San Borondón gesehen", zwitscherte es fröhlich. Da fiel mir ein Stein vom Herzen. Dann gab es hier auch noch Träume. Erleichtert schmiegte ich mich an Brujita, in der einen Hand meinen Malstift und in der anderen? Na, die Muschel. Ich spürte sie wieder, sah sie schimmern. Irgendwo hörte ich leise ihre Melodie. In meinem runden Bauch konnte es einfach nicht anders, als kugeln und kitzeln und begeistert mitsingen: "Traumsucher tauchen, Traumtaucher wissen:  Auch was man nicht sieht, ist da!  Alles, - alles alles alles hat seinen Grund."

Die palmerischen Kinder sind alle ganz große Künstler. Die riesigen Gemälde haben sich angeschaut und dann ihre eigene Version gemalt. Hier findest du die Originale. Und hier mehr zum Museum in den Straßen.

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